2019 · Kantonsgericht

Projekt · Wettbewerb Erweiterung Kantonsgericht Liestal
Ort · Liestal
Auftragsart · offener, einstufiger Projektwettbewerb
Leistung · Projektstudie
Zeitraum · 2019

Städtebau und Architektur: Die Situation um den Liestaler Bahnhof befindet sich in einem grossen Transformationsprozess. Neben den bereits gebauten drei Solitären entlang dem Busbahnhof wird vor allem mit dem geplanten Neubau bei der Post ein neuer Massstab etabliert. Der Bahnhof selbst wird durch den Vierspurausbau und den Neubau des Bahnhofgebäudes und eines Hochhauses erweitert. Als Konstante und auch rahmenden Abschluss des Bahnhofplatzes verbleiben aber mit dem «Palazzo» und dem Gerichtsgebäude zwei prägnante Zeugen aus der Vergangenheit. Trotz der etwas geringeren Höhe als die neuen Gebäude treten sie durch ihre Stellung in der Umgebung und im Detail durch ihre Fassadengestaltung als prägende Solitäre hervor. Vor allem das Gerichtsgebäude mit der Lage auf dem Hügel über dem Park strahlt Richtung «Stedtli» eine der Nutzung entsprechende Präsenz aus, die momentan jedoch durch das Provisorium über dem bestehenden Parkplatz und die unübersichtliche Situation beim Park verunklärt wird.

Die Aufgabenstellung eines nordseitigen Anbaus an das bestehende Gerichtsgebäude und der Rückbau des südseitigen Zwischenbaus wird zum Anlass genommen, die Struktur des Bestandes zu klären und den repräsentativen Charakter des Gebäudes allseitig zu stärken. So wird der Bestand auf die fünf - durch ein Walmdach zusammengebundenen - Gebäudeteile zurückgeführt und durch einen rechteckigen Neubau parallel zum Mittelteil des Bestands auf der gesamten Länge der Nordfassade ergänzt. Der kompakte viergeschossige Bau wird hierbei über eine subtile Schattenfuge knapp unter dem Dachgesims mit dem Bestand verbunden.

Die murale Fuge verbindet Alt und Neu nach aussen hin in zurückhaltender Weise zu einer Einheit. In der dreigeschossigen Vorhalle der Gerichtssäle stehen sich die Bestands- und Neubaufassade in einem spannungsvollen Dialog gegenüber und bilden eine Art Bühne für das Publikum vor dem Gang in den Gerichtssaal.

Der Mittelteil der bestehenden Südfassade wird mit den ursprünglichen sechs Fensterachsen wieder hergestellt und durch ein Vordach im Bereich des historischen Geschossgurtes über dem Erdgeschoss ergänzt. Durch die direkte Übernahme der Fassadengestaltung wird eine klare Umsetzung der Rückführung im Sinne einer Bestandssanierung gesucht. Für den Neubau wird jedoch ein anderer Weg vorgeschlagen.

So wird die Gliederung des Bestands mit Natursteinsockel, Erdgeschoss und Geschossgurt und gebündelten Obergeschossen mit Dachgesims beim Anbau mit anderen Materialien und Proportionen in die heutige Zeit übersetzt. Trotz dieser Differenzierung verstärkt sich auf integrative Weise die Verschmelzung von Alt und Neu zum neuen Solitär des Kantonsgerichts.

Erschliessung und Freiraum: Der Haupteingang für die Besucher befindet sich im Bestandsbau und erfolgt nach wie vor vom zentralen Bahnhofplatz her. Über eine Treppe mit integrierter Rampe im wieder geschaffenen Ehrenhof gelangt man auf den gedeckten Vorplatz und über eine Tür ins Innere des Gebäudes. Der Eingang für die Gerichtsmitarbeiter befindet sich in der Fuge zwischen Alt- und Neubau.

Die polizeiliche Zuführung im 1. Untergeschoss und die Parkierung im 2. Untergeschoss werden über den Fahrzeuglift erschlossen. Eine allfällige Anbindung der Parkierung an die Einstellhalle der östlich liegenden Neubauten erscheint für die weitere Planung prüfenswert. Im Zuge der Freiraumgestaltung des übergeordneten Betrachtungsperimeters wurde die Anbindung an das Freiraumkonzept vom QP Orisbach geprüft und teilweise angepasst. Um die Stellung des Gerichtsgebäudes auf dem Hügel zum Park stärken zu können, wird die Geländekante etwas nach Nordosten verschoben.

Anstelle einer Serpentine zur rollstuhlgängigen Verbindung vom Bahnhofplatz zum «Stedtli» wird ein mäandrierender Weg um den Gerichtshügel herum geplant, welcher bei der Brücke Richtung Regierungsgebäude und «Stedtli» an der bisherigen Planung anknüpft. Über einen umlaufenden Weg für die rollstuhlgängige Erschliessung wird das Georg Herwegh-Denkmal in einer grünen Insel neu positioniert und in die Umgebungsgestaltung integriert. Die Veloabstellplätze der Gerichtsmitarbeiter sind nördlich des Neubaus geplant. Entlang des Vorplatzes zum projektierten Hochbau des «Lüdin-Areals» schreitend, ermöglicht eine Treppenanlage eine zusätzliche Fussgängerverbindung zwischen Bahnhof und «Stedtli». Die Plätze im Norden und Süden, inklusive des Ehrenhofes und das allseitig umlaufende Wegenetz, stärken den repräsentativen Solitärcharakter des Gerichtsgebäudes und heben so auch seine Wichtigkeit für den Ort heraus.

Nutzung und Organisation: Aufgrund der betrieblichen und sicherheitstechnischen Anforderungen wird die Nutzung rund um die Gerichtssäle im Erdgeschoss konzipiert. Über die vom gedeckten Vorplatz auf der Südseite erschlossene Eingangshalle gelangen die Besucher ohne Einschränkung auf der einen Seite zum Empfang und auf der anderen Seite in die Akteneinsicht. Durch eine Sicherheitsschleuse erreicht das Publikum den geschlossenen Besucherbereich. Die Anlage des Bestandbaus bildet die Grundlage für die Strukturierung der neuen Grundrisse. So betritt man über den Aufenthaltsbereich des Publikums -durch zwei zu Durchgängen geweiteten Fensteröffnungen - die dreigeschossige Vorhalle der beiden Gerichtssäle, welche im Neubau auch achsensymmetrisch angelegt sind. Mit der Öffnung der Brüstungen der bestehenden Fenster in der Altbaufassade werden die separaten Vorräume der Gerichtssäle sowie über einen Korridor die Sanitäranlagen und der Reservegerichtssaal erschlossen.

Der Weibel gelangt von der Pforte über die ebenerdige Erschliessung im geschützten Bereich zum linken Gerichtssaal. Der rechte Gerichtssaal und der Reservegerichtssaal können intern mit den Lift- und Treppenanlagen schwellenlos über das Unter- oder Obergeschoss (oder ausnahmsweise über Schlupftüren zur Vorhalle im Publikumsbereich) erreicht werden.

Die polizeiliche Zuführung von Beklagten oder geschützten Zeugen erfolgt durch den Fahrzeuglift in einen abgeriegelten Vorbereich mit angelagerten Einstellzellen im 1. Untergeschoss. Über die interne Erschliessung und die beiden Treppen- und Liftanlagen werden die Vorbereiche der Gerichtssäle mit dem seitlichen Eingang erreicht.

Die Gerichtsmitarbeiter betreten das Gebäude über den Nebeneingang von der Bahnhofstrasse her. Unmittelbar neben diesem Eingang befinden sich die Kinder- und Opferbefragung sowie die Garderoben für das Personal. Über die Treppen- und Liftanlage werden die oberen Geschosse der Kanzleien und der Verwaltung erschlossen. Im 1. und 2. Obergeschoss befinden sich je Geschoss zwei Kanzleien, welche wiederum achsensymmetrisch angelegt sind. Jeweils ein Besprechungsraum, die gemeinsame Teeküche mit Aufenthalt, eine gemeinschaftlich nutzbare Bibliothek, die jeweiligen Postfächer und Handarchive der Kanzleien befinden sich, angegliedert an die dreigeschossige Halle, in der Mitte des Gebäudes. Ein Umgang verbindet die Büros und ermöglicht eine flexible Zuteilung auf die Kanzleien. Im 3. Obergeschoss des Neubaus befindet sich die Verwaltung und in der nordöstlichen Ecke - mit Blick aufs «Stedtli» - der gemeinschaftliche Aufenthaltsbereich aller Angestellten.

Konstruktion und Materialisierung: Mit einer Konstruktion aus Betonelementen wird eine zeitgenössische Interpretation der Gliederung des Bestandbaus samt Gesimsen, Lisenen und mit Gewänden gefassten Fenstern erreicht. Durch die Fügung der Elemente auf unterschiedlichen Ebenen und der Betonung der Horizontalen und Vertikalen gliedert sich der Anbau, ähnlich dem Bestand, in ein auf einem Ortbetonsockel aufbauenden Erdgeschoss mit Geschossgurt und den drei Obergeschossen mit abschliessendem Dachkranz. Die differenzierte Rasterung des obersten Geschosses und die meist verglasten und teils geschlossenen Fassadenfelder ermöglichen eine feine Anbindung zum Bestand hin und gliedern die lange Nordfassade in eine angemessene Massstäblichkeit.

Die Elementfassade ist mit einer inneren Tragschale aus Beton und dazwischenliegender Wärmedämmung geplant. Vor den Metallfenstern mit schmalen geschlossenen Lüftungsflügeln sind Vertikalstoffstoren als aussenliegender Sonnenschutz geplant. Eine gewünschte Einsichtsregulierung (z.B. in den Gerichtssälen) kann über innenliegende Vorhänge gelöst werden. Die Innenwände (wo möglich in Leichtbau) sind in glattem Verputz, die Decken in gestrichenem Beton geplant. Für zusätzliche akustische Massnahmen oder technische Einbauten (z.B. in den Gerichtssälen) ist durch die geplante Ausbildung eines Fenstersturzes genügend Raum vorhanden. Die geplante Hohlbodenkonstruktion ermöglicht eine flexible Verteilung der Haustechnik über den Boden. Über durchgängige Steigzonen und deren Anbindung an die Technikzentrale im UG und den Technikräumen in den Obergeschossen wird eine ideale Verteilung der Installationen erreicht.

Die Lage direkt an den Gerichtssälen erlaubt eine unkomplizierte Klimatisierung derselben. Die weiteren Räume entlang der Fassade werden natürlich belüftet.